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FRANKFURT Unternehmen feiert neue Therapie

Dass sie einmal Komponenten für eine Genschere herstellen würde, hätte sich Sylvia Wojczewski in ihren kühnsten Träumen nicht vorstellen können. Als sie 1997 gemeinsam mit Hüseyin Aygün das Unternehmen Biospring gegründet habe, sei die Entdeckung der Genschere CRISPR/Cas und ihr Potential für die Heilung von Erbkrankheiten "nicht einmal im Ansatz zu erahnen" gewesen, sagte Wojczewski am Freitag in der Union-Halle in Frankfurt. Inzwischen wurde eine erste Therapie unter Einsatz von CRISPR/Cas zugelassen, und das ist auch für Biospring Grund zum Feiern: 2023 hat das Unternehmen seine Kapazitäten für die Herstellung von Bauteilen für die Genschere verdreifacht.

In der Union-Halle im Frankfurter Ostend veranstaltete das im Industriepark Fechenheim ansässige Unternehmen jetzt eine Konferenz zu den Chancen der Genchirurgie. Mit CRISPR/Cas sind gezielte Eingriffe ins menschliche Erbgut möglich: Die Genschere kann DNA-Stränge durchtrennen, dadurch können einzelne Gene ausgeschaltet oder neue Abschnitte eingefügt werden. Für Menschen, die von genetisch verursachten Krankheiten betroffen seien, bedeute dies die Chance "auf ein besseres Leben durch eine einzige Anwendung", wie Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) auf der Konferenz hervorhob. "One and done. Was für ein Versprechen."

Ganz so einfach, wie das klingt, ist es nicht im Fall der CRISPR-Gentherapie gegen Sichelzellanämie, die Ende 2023 in Großbritannien und den USA zugelassen wurde. Für die Behandlung müssen den Patienten Blutstammzellen entnommen werden, die dann im Labor mit der Genschere modifiziert werden. Dieser Prozess könne bis zu sechs Monate dauern, heißt es auf der Website des amerikanischen Konzerns Vertex, der die Lizenz für die Umsetzung dieses vom Schweizer Biotechnologie-Unternehmen CRISPR Therapeutics entwickelten Verfahrens hält. Vor Verabreichung des aus den modifizierten Stammzellen hergestellten Präparats namens Casgevy müssen sich die Patienten außerdem einer Chemotherapie unterziehen.

Trotzdem werten Experten die neue Therapie als großen Fortschritt. Bei einer Sichelzellanämie verformen sich genetisch bedingt die roten Blutkörperchen, was zu einer Verstopfung der Blutgefäße und Organschäden führen kann. Bislang sei eine Heilung dieser Krankheit nur möglich gewesen, wenn sich ein Stammzellspender gefunden habe, sagte Professor Toni Cathomen vom Universitätsklinikum Freiburg auf der Konferenz in Frankfurt. Er rechnet mit einer baldigen Zulassung von Casgevy auch in der Europäischen Union.

Biospring-Chefin Wojczewski sprach von einer "Revolution in der Medizin". Sie sei stolz darauf, mit ihren 600 Mitarbeitern Teil dieser Entwicklung zu sein. Die Moleküle, die ihr Unternehmen für die Genschere produziert, sind für die Identifikation der Schnittstelle zuständig. Es handelt sich um RNA, Moleküle also, die in Zellen auch in natürlicher Form vorkommen - für die Genschere aber von Biospring künstlich hergestellt werden. Das macht das Frankfurter Unternehmen seit 2016, schließlich wurden die Bauteile schon vor der Zulassung der ersten Therapie für verschiedene Studien mit CRISPR/Cas benötigt.

RNA ist die englische Abkürzung für Ribonukleinsäure, und verschiedene Nukleinsäuren produziert Biospring schon seit der Gründung vor gut 25 Jahren. Das Unternehmen synthetisiert dafür Nukleotide - die chemischen Bausteine, aus denen sich sowohl RNA als auch DNA zusammensetzen - und verkettet sie zu unterschiedlichen Strängen, die auch als Oligonukleotide bezeichnet werden. Manche Oligonukleotide kommen in der medizinischen Diagnostik zum Einsatz, andere regen die Produktion von Antikörpern an.

Wenige Kilogramm künstlicher Oligonukleotide reichen für Zigtausende Patienten. Bei den Komponenten für die Genschere genügten für eine Behandlung sogar wenige Mikrogramm, heißt es bei Biospring. Allerdings dauere die Herstellung einer Charge von 20 Gramm auch etwa drei Wochen - diese Relation lässt erahnen, wie kompliziert der Produktionsvorgang ist.

In seine neueste Produktionsanlage hat Biospring einen zweistelligen Millionenbetrag investiert. Das Unternehmen hat noch größere Pläne: 2022 kündigte es die Errichtung zusätzlicher Produktionsanlagen in Offenbach an. Dort sollen 1500 Arbeitsplätze entstehen, die Bauarbeiten sollen frühestens 2026 beginnen. Laut den im Unternehmensregister veröffentlichten Jahresabschlussunterlagen erwirtschaftete Biospring 2021 bei einem Umsatz von knapp 80 Millionen Euro einen Gewinn von 20 Millionen Euro. Aktuelle Zahlen wollte das Unternehmen nicht nennen. barb.

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Jeder Schritt wird dokumentiert: Produktion bei Biospring
© F.A.Z.-Foto / Lucas Bäuml

 

 

F.A.Z., 13.02.2024, Wirtschaft (Rhein-Main-Zeitung), Seite 7 - Ausgabe R-DA, R-WI, R-MK, R-HT, R-F, R-E - 638 Wörter
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